Erik Satie – der skeptische Klassiker

von Oliver Vogel

Erik Satie: ein verkanntes Genie?

Ein Buch über Erik Satie in deutscher Sprache? Nun, das Gedenken an Erik Saties 100. Todesjahr scheint doch dazu gereicht zu haben, dass sich der Musikwissenschaftler Oliver Vogel dem Thema einer mehr als ausführlichen Biografie des Franzosen angenommen hat.

Wie aber geht man eine Beschreibung eines Musikers und recht verschlossenen Mannes an, der sich immer wieder neu erfand und mit jedem Neubeginn eine Art von Bruch mit dem zuvor Geschaffenen anstrebte. Nun, der Autor Oliver Vogel hat sich extrem viel Mühe gegeben, das Leben und den Charakter von Erik Satie zu beschreiben. Das beginnt alles mit dem Blick nach Montmartre in Paris, wo sich Künstler zusammenfanden und im Le Chat Noir ein Zuhause fanden, wenn sie sich gegen die Konventionen und das Establishment der Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts stellten. Satie selbst stammte aus einer eher wohlhabenden Familie, sein Vater hatte sogar einen kleinen Musikverlag, in dem die ersten Werke seines Sohnes veröffentlicht wurden. Und dennoch wurde Satie eine Art von Lebenskünstler, der immer wieder in neue Rollen schlüpfte, wie der Autor dem Leser vor Augen führt: vom armen Künstler über den Gentleman bis hin zum von bestimmten Kreisen anerkannten und dekadenten Auftragnehmer von Musik, der aber selbst dann noch Neues schuf. “Er verweigerte die Suche nach dem gelobten Land und lernte die vielfältigen Potenziale der musikalischen Diaspora, insbesondere der populären, zu schätzen”, schreibt Vogel und erklärt bereits damit, was Satie besonders macht. Dabei ist der Komponist, der das Studium am Conservatoire in Paris willentlich abbrach, da er dort nicht das fand, was er suchte, immer auch damit konfrontiert, dass man ihm Unwissen vorwirft, denn letztendlich wird er als Autodidakt gesehen, immerhin bis er 40 Jahre alt ist und sich zu einem Studium an der Schola Cantorum entschloss, um mehr Wissen zu erlangen und vor allem die Geheimnisse der Kontrapunktik zu vertiefen.

Grundsätzlich hat Vogel das Buch chronologisch aufgebaut. Doch das gesamte Buch ist in drei Teile geteilt, die den Lebensweg beschreiben: Montmartre, Arcueil und Montparnasse. Und leicht lässt sich nachvollziehen, wie diese unterschiedlichen Orte, die Vogel der Biografie zugrunde legt, sich auf die Lebens- und Wirkungsstile Saties auswirken: von Montmartre als unter Gleichgesinnten an­ erkannter Künstler, der keinen Standards folgt, über Arcueil, wo er mit Geldsorgen umgeben das zweite Studium beginnt und seine ersten Erfolge erringen kann, bis zu Montparnasse, wo er in späten Jahren wiederum mit Dada-Musik und Surrealismus neuen Auftrieb erhält.

Anders als vom Verlag promotet wird, ist dies kein leicht zu lesendes Buch. Dies liegt zum einen schon an der Schriftgröße, die aufgrund des immensen Umfangs natürlich recht klein gewählt ist. Vor allem die eingeschobenen Zitate sind eine Herausforderung gelesen zu werden. Zum anderen ist es die beschreibende Stilistik, die der Autor pflegt: er erzählt uns keine Geschichten, sondern beschreibt analytisch die Gegebenheiten. Dass er dabei auch oftmals weit ausholt, ist bei Satie durchaus sinnvoll, denn das Umfeld, in dem er lebt und wirkt, die Einflüsse, die sein Denken und damit seine musikalische Entwicklung beeinflussen, sind für das Verständnis wichtig. Seine wirklich wichtigste Anerkennung erfährt Satie durch die erfolgreichen Zeitgenossen Claude Debussy und Maurice Ravel. Während Debussy in Satie einen Kollegen fand, mit dem er die Fragen der Kunst diskutieren konnte, zu einer zwei Jahrzehnte dauernden Freundschaft und gegenseitigen Anerkennung. Als Maurice Ravel dies bemerkte, meinte er, dass er ohnehin schon lange Satie als einflussreichen Komponisten mit neuen Ideen auf dem Schirm hatte. Wie auch immer dies zu deuten ist, blieb dies letztendlich für Satie eine Art von Ritterschlag und Anerkennung in anderen Kreisen, fernab von Montmartre.

Doch Vogel beschreibt uns nicht nur den Werdegang und das Leben und dessen Umstände von Satie, sondern bindet natürlich auch seine Musik, die er hervorbrachte, in den Verlauf des Lebens ein. Auf diese Weise wird dem Leser erst einmal deutlich, was so besonders, was anders an Saties Musik ist, die wir heute oftmals nur in Ausschnitten und oftmals nur als leichte Untermalung kennen. Doch dass dies dem Skeptiker Satie nicht gerecht wird, er wirklich Neuerungen in die Musikgeschichte eingebracht hat, sein Wille, beständig sich und die musikalische Umgebung zu hinterfragen, wird nach dem Lesen dieses Buches überdeutlich.

Doch es wird auch deutlich, dass Erik Satie ein sich selbst auferlegtes Schicksal lebte, er ein immer Hinterfragender blieb, der nach Neuem suchte. Die Anregungen kamen aus allen Kunstecken seiner Umgebungen. Dass er dann früh­ zeitig ein Neuerer gegen Ende seines Lebens wurde, einer, der weit über die eigene Zeit hinaus Einfluss hatte, war ihm selbst wohl nicht klar. Und dass heutzutage viele Neoromantiker gerade diesen Neuerer als ihre Beeinflussung sehen, lässt erkennen, wie wenig sie in der Musik Saties erkannt, wie wenig sie von dieser Musik verstanden haben. Ihnen sei dieses Buch als erstes ans Herz gelegt.

Oliver Vogel hat ein neues Standardwerk über Satie verfasst, eines, das wohl alles enthält, was man über den Komponisten schon wusste, und alles, was uns neue Ansätze erkennen lässt, um ihn überhaupt zu verstehen. Ja, Satie ist letztendlich ein verkanntes Genie, von dessen Gesamtœuvre wir heute ohnehin nur einen kleinen Bruchteil kennen. Hoffentlich bietet dieses Buch genug Anregungen für Veranstalter und Musiker, sich mit den unbekannteren Werken Saties auseinanderzusetzen. Es wäre an der Zeit.

Mit dem im Laaber-Verlag noch erscheinenden Buch „Erik Satie und seine Zeit” wird man dann vielleicht nochmals einige Details nachlesen können, die diesen Musikschaffenden mit Langzeitwirkung in den Fokus stellt.